💬 Attestpflicht ab dem 1. Krankheitstag – Misstrauenskultur auf Rezept?

💬 Attestpflicht ab dem 1. Krankheitstag – Misstrauenskultur auf Rezept?

Vertrauen ist gut, Attest ist besser? 🤒

Kennen wir das nicht alle? Montagmorgen, der Hals kratzt, der Kopf brummt – doch bevor man sich ins Bett legt, wartet ein zusätzlicher „Pflichtgang“: Ab zum Arzt, Attest besorgen! In vielen deutschen Unternehmen wird dies von Beschäftigten bereits ab dem ersten Krankheitstag verlangt. Gesetzlich erlaubt? Ja. Sinnvoll? Das ist eine ganz andere Frage.

In diesem Artikel werfe ich einen analytisch-kritischen Blick auf die Attestpflicht ab dem ersten Krankheitstag – und warum diese Praxis oft mehr schadet als nützt.

Die rechtliche Lage: Was sagt das Gesetz? ⚖️

In Deutschland dürfen Arbeitgeber nach § 5 Abs. 1 Satz 3 des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFZG) eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) bereits ab dem ersten Krankheitstag verlangen. Das Bundesarbeitsgericht hat dies mehrfach bestätigt.

Doch was erlaubt ist, ist nicht automatisch sinnvoll. Die Idee hinter dieser Regelung: Missbrauch verhindern, Kontrolle sicherstellen. Doch die Praxis zeigt: Dieser Misstrauensvorschuss produziert Nebenwirkungen, die langfristig teurer sind als die Krankheit selbst.

Die Praxis: Bürokratie trifft auf Realität 📑

Ein typisches Szenario: Der Arbeitnehmer fühlt sich morgens unwohl, will sich auskurieren – aber statt Ruhe und Erholung gibt es Stress. Arzttermine müssen koordiniert werden, Wartezimmer voller hustender Menschen überstanden werden – mit dem Effekt, dass aus einem harmlosen Infekt schnell eine längere Erkrankung wird. Willkommen im Teufelskreis.

In einer Umfrage der Techniker Krankenkasse (2023) gaben 72% der Befragten an, dass sie sich bei leichten Symptomen trotzdem zur Arbeit schleppen – aus Angst vor Ärger mit dem Arbeitgeber. Eine Attestpflicht ab dem ersten Tag verstärkt diesen Druck zusätzlich.

Argumente Pro Attestpflicht: Was spricht dafür? ✅

  • Prävention von Blaumachen: Gerade bei wiederkehrenden Montags- und Brückentagserkrankungen sehen Arbeitgeber die Attestpflicht als notwendiges Kontrollinstrument.
  • Gleichbehandlung: Eine klare Regelung für alle vermeidet individuelle Abwägungen und Diskussionen.
  • Dokumentation: Arbeitgeber sichern sich formal ab – das kann im Streitfall hilfreich sein.

Klingt vernünftig – auf den ersten Blick. Doch die Kehrseite hat es in sich.

Argumente Contra Attestpflicht: Warum sie oft mehr schadet als nutzt ❌

1. Vertrauensverlust: Misstrauen made in Germany

Eine pauschale Attestpflicht signalisiert: „Wir trauen euch nicht.“ In einer Zeit, in der Unternehmen Employer Branding, Mitarbeiterbindung und psychische Gesundheit großschreiben, wirkt das wie ein Relikt aus dem letzten Jahrhundert.

2. Mehr Bürokratie, weniger Flexibilität

Jede AU bedeutet Aufwand – sowohl für Mitarbeiter als auch für HR. Besonders bei kurzen Ausfällen verursacht das unverhältnismäßig viel Verwaltungsarbeit.

3. Gesundheitsrisiko durch Arztbesuche

Wer mit einem leichten Infekt zum Arzt muss, gefährdet nicht nur sich selbst, sondern auch andere Patienten – ganz besonders in Erkältungswellen.

4. Paradoxe Wirkung: Länger krank statt schneller gesund

Studien zeigen: Wer einmal beim Arzt ist, bekommt häufig direkt eine längere Krankschreibung – auch um „sicherzugehen“. Die erhoffte Reduzierung von Fehlzeiten kehrt sich ins Gegenteil um.

Handlungsempfehlungen: So geht es besser 🚀

  1. Einzelfall statt Gießkanne: Pauschale Regeln schaden. Attestpflichten sollten gezielt in Einzelfällen (z. B. bei auffälligem Fehlzeitenmuster) eingesetzt werden.
  2. Vertrauenskommunikation aktiv gestalten: Wenn Unternehmen auf Attests verzichten, sollte dies aktiv als Vertrauenssignal kommuniziert werden.
  3. Fehlzeitenmanagement modernisieren: Weg von Kontrolle, hin zu echter Gesundheitsförderung – mit Angeboten zu Prävention, Gesundheitsförderung und Flexibilisierung (z. B. Homeoffice bei Erkältung).
  4. Willkommensgespräche etablieren: Wer nach einer Krankheit zurückkommt, wird persönlich begrüßt. Das signalisiert Wertschätzung und gibt Raum für offene Gespräche.

Fazit: Vertrauen statt Kontrolle – die bessere Medizin 💊

Die pauschale Attestpflicht ab dem 1. Tag ist ein Beispiel für Symptombekämpfung statt Ursachenforschung. Sie löst keine echten Probleme, sondern verschärft sie in vielen Fällen. Unternehmen, die auf Vertrauen setzen, klare Kommunikation pflegen und echte Gesundheitsförderung betreiben, fahren langfristig besser – mit gesünderen Mitarbeitern, weniger Bürokratie und einem stärkeren Wir-Gefühl.

Meine Empfehlung: Weniger Zettel, mehr Vertrauen – und eine Kultur, in der Gesundheit ernst genommen wird, ohne dass man sie per Attest beweisen muss.

 

 

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In puncto gesunder Arbeitskultur bin ich deutschlandweit, insbesondere in Baden-Württemberg tätig, vor allem aber in den Orten Dornhan, Rottweil, Horb am Neckar, Villingen-Schwenningen, Nagold, Oberndorf am Neckar, Altensteig, Sulz am Neckar, Schramberg, Dunningen, Eutingen im Gäu, Empfingen, Fluorn-Winzeln, Waldachtal, Starzach, Pfalzgrafenweiler, Balingen, Haigerloch, Bondorf, Mössingen, Trossingen.

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